Zentrale dramatische Frage (Kurs-Skript)


Einführung, Vorstellung Plot; Übersicht (auch Zopfi 83, Steele 75)

Der Handlungsablauf - oder Plot - gibt der Fiktion (also der leicht zurechtgemachten Realität...) den Zusammenhang, indem er alle Figuren, Schauplätze, Szenarien, die Stimme und alles andere um eine einzige organisierende Kraft zusammenzieht - um eine Kraft!

Literarische Werke handeln in der Regel von einer einzigen Sache! Diese Kraft drückt sich in der Regel aus in einer einzigen drängenden Frage!

Wichtig also: Plot ist das verdichtete wirkliche Leben - oder andersrum: die Realität bietet sehr selten genügend „Dichte“ für den guten Plot.

Zentraler Dreh- und Angelpunkt eines Handlungsablaufes ist meist eine einzige drängende Frage - Zusammenhang mit Thema, Zusammenhang mit Protagonist (Figur) und seinen Wünschen und Zielen

Im wesentlichen beschäftigen wir uns heute damit:

Zentrale dramatische Frage, Dreh- und Angelpunkt!


Die zentrale dramatische Frage

Die zentrale dramatische Frage ist meist eine einfache Frage, die am Ende der Geschichte mit Ja, Nein oder Vielleicht beantwortet werden kann!

Wenn die Frage aufgeworfen wird, muss sie auch beantwortet werden!

Die Antwort  muss plausibel sein, die Ereignisse und die Charaktere müssen sie begründen, sie muss aus den Handlungen folgen. Zufällige und „wundersame“ Auflösungen und „Fügungen höherer Gewalt“ sind heute nicht mehr so üblich wie z.B. zu Zeiten von Dickens.

Und: Die Antwort muss zur Frage passen!

 

Training: Sucht in einer eurer Lieblingsgeschichten/Lieblings-roman nach der zentralen dramatischen Frage

 

Die Frage ist eng verbunden mit dem Thema, sie „schwebt immer mit“ und es ist zielführender, wenn ihr sie bewusst im Hinterkopf mitträgt. Sie ist - wie erwähnt - die zentrale Kraft eures „fiktiven Universums“ eurer Geschichte - und sie ist verwoben mit drei wichtigen Elementen eines Textes:

- dem Protagonisten

- dem Ziel des Protagonisten (Wunsch...)

- dem Konflikt, den Hindernissen

 

Protagonist

Die Hauptfigur des Textes. Am detailliertesten entwickelt - und die zentrale Frage hängt in der Regel mit dieser Figur zusammen.

In der Regel gibt’s nur eine oder zwei Hauptfiguren - aber keine Regel ohne Ausnahme!

Bei Romanen eher ganze Gruppen von Figuren - trotzdem muss die Frage mit der Hauptfigur zusammenhängen - es sei denn, es gibt Nebenstränge und Nebenfiguren (und somit auch Nebenfragen...) - dazu später noch etwas.

 

Ziel

Die Hauptfigur hat ein Ziel, einen brennenden Wunsch. Dieses Ziel ist Ausdruck - oder andersherum Thema - der zentralen Frage, löst diese aus.

Ein Wunsch kann sehr konkret sein - der Wunsch, nach einem Boot zum Beispiel - oder abstrakt, innerlich, zum Beispiel der Wunsch nach Selbst-vertrauen, nach Liebe... - zumeist wird der abstrakte Wunsch aber mit einem konkreten Streben verbunden, eben zum Beispiel der Wunsch nach Selbstfin-dung im konkreten Ziel, ein Boot anzuschaffen. Dies sollte auch in der Liter-atur so sein, sonst wirkt der Text schnell selbst „abstrakt“. Konkrete Tätigkeiten können ja auch Ausdruck von Wünschen sein, z.B. Essen, Süssigkeiten, Rauchen...

 

Konflikt

Wir kennen das: Der Weg ins Verderben ist gerade und glatt, der Weg zum Guten dornenreich und voller Hindernisse... Genau so ists bei guten Texten: Das Erreichen des Zieles, die Antwort auf die Frage wird erst nach der Überwindung zahlreicher, sich steigernder, sich übersteigernder Hindernisse möglich! Damit eine Geschichte interessant wird, müssen Konflikte da sein und sie müssen eskalieren!

Hindernisse können in vielen Formen auftreten, äusserliche, innerliche Widerstände, Antagonisten, Figuren, die konkret gegen den Protagonisten arbeiten, gesellschaftliche Strukturen auch, der sozial benachteiligte Junge, der keine Chance auf eine höhere Schule erhält, weil er nicht in jene Gesellschaftsschicht gehören darf. Innerlich kann er aber auch sich selbst daran hindern, indem er nicht glaubt, dass er die höhere Schule schaffen kann.

Geschichten, die uns ergreifen, sind zumeist Geschichten, in denen mindestens ein Teil der Hindernisse innerlich sind!

 

Überblick, illustriert an einem Beispiel-Projekt

Der Kursteilnehmer will versuchen, autobiographisch seinen nie verarbeiteten Jugendkonflikt mit dem Vater darzustellen und zwar anhand der Situation, dass der Vater schwer krank in einer Klinik liegt und der Sohn weit weg in einer fremden Stadt arbeitet. Er erhält einen Anruf, dass der Vater bald sterben werden.

Wie könnte in so einer Situation die zentrale Frage lauten?

 

Formuliert im Projekt ist bereits der brennende Wunsch: Aussöhnung mit dem Vater.

Der Protagonist trägt in sich den brennenden Wunsch dazu - wie äussert er sich? Sicher nicht gerade offensichtlich, er ist verborgen unter anderen Schichten, vielleicht äussert er sich konkret darin, dass er ein Erinnerungsstück an Vater mit sich trägt - oder dass er die Episoden aus seiner Kindheit aufschreibt - oder....

 

Die zentrale Frage hier wurde dann formuliert: Schafft er die Versöhnung?

 

Mögliche Konflikte, Hindernisse, welche die Antwort hinauszögern:

Einerseits innerliche, während dem Erinnern an Episoden keimt immer auch wieder Wut auf - nein, so nicht! Nach dem Telefon zögert er selbst deshalb die Abfahrt immer wieder hinaus, vielleicht lebt er sein Leben noch sturer fort um zu beweisen, dass ihm seine Gewohnheiten keine Zeit lassen. Aber vielleicht gibt’s auch wirkliche äussere Hindernisse: Sein Arbeitgeber gibt ihm nicht frei, die Bahnangestellten streiken... usw. Die Frist läuft immer mehr ab, die Telefone werden dringender, vielleicht kommt die Schwester sogar um ihn abzuholen, er verpasst sie bewusst... Dann ist er vielleicht unterwegs - steigt aber noch früher aus, um den Spatzenfriedhof zu besichtigen...

 

Training: Versucht für ein Schreib-Projekt die ProtagonistIn zu bestimmen. Gebt der Figur ein (abstraktes) Ziel und verbindet es mit einem konkreten Wunsch. Achtet darauf, dass das Ziel einem Bedürfnis entspricht, das man der Figur glaubt!

Schreibt anschliessend eine Liste möglicher Hindernisse auf dem Weg zum Ziel. Und formuliert am Ende die zentrale Frage! (Achtung: Ja - Nein - Vielleicht!)

 

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