Der Schreiber, die Lesenden und die Unterschiede

 

Wenn ich hier sitze und meinen Text schreibe, im Café zum Beispiel oder in der Pizzeria am Bahnhof nach einer Pizza Gorgonzola, leise ertönt eine dieser Hitparaden-Balladen aus meinen Jugendjahren, die ich kenne und mitsumme, denen ich aber nie die richtigen Sänger zuordnen kann, oder wenn ich den Text am Feuer in unserem Garten schreibe oder im Bahnabteil und im Nebenabteil besprechen vier Frauen die Chill-out-Phasen ihrer Jugendlichen, vielleicht auch schreibend in einer plötzlichen Eingebung auf einem Mäuerchen an der Langete sitze, schreibmobilerinnernd – immer jedenfalls besteht der Nachteil darin, dass die Lesenden den Text nicht in derselben Stimmung lesen werden, nicht mit der Musik im Hintergrund, nicht mit dem Gorgonzola-Pfeffer-Geschmack im Mund und nicht bei dem Gespräch im Bahnabteil.

 

Und während die Lesenden lesen, jetzt zum Beispiel, bin ich, der Schreiber, bereits ganz woanders, mit dem Velo am deutschen Rhein etwa und schau mir dort vielleicht gerade die Rebberge an oder flaniere durch die Altstadt von Freiburg. Seltsames Gefühl, Zeitsprunggefühl.

 

Wir eilen zeitverschoben hintereinander her, werden nie gleichzeitig, ich kann nicht schreiben im Moment, in dem gelesen wird und wenn, dann würde es ein Gespräch, wäre nicht Schreibenlesen. Und ausserdem bearbeite ich den Text später noch, die handschriftliche Fassung, in der ich schon zwei-, dreimal herumkorrigiert habe, tippe schliesslich und ändere dabei nochmal, kürze, weil ich nicht zu viele Zeichen abliefern darf – andere Geräusche, anderer Geschmack, andere Stimmung, fliessen ineinander, nicht zu rekonstruieren, selbst wenn Sie den Text mitnähmen, ins Café, zu einer Pizza Gorgonzola in der Pizzeria am Bahnhof, auf eine Zugfahrt, auch wenn Sie warten würden, bis leise dieser Hit erklingt, ein ähnliches Gespräch abläuft im Nebenabteil: Es ist nicht dasselbe, nie, unmöglich.

 

Vielleicht ist es mir aber immerhin gelungen, Sie als Lesende in diese Stimmung zu bringen, damit Sie doch für einen Moment in jenem Moment sind, indem geschrieben wurde, im Zeitraffer und Zeitüberblender alle diese Umstände spüren und empfinden. Ein Augenblick des Begreifens, warum nie zwei Texte genau gleich auf die Menschen wirken, warum die einen darob ausflippen und die andern das Machwerk achtlos beiseite legen.

 

Wenn es Ihnen nicht gelungen ist, dann versuchen Sie es doch trotzdem noch bei einer Pizza, warten auf leise Musik, Hitparade der 70-iger Jahre – und vielleicht spüren Sie dann ein Zipfelchen von dem, was ich zeigen wollte. Und sonst habe ich Ihnen zumindest das Ferienerlebnis vermittelt, in Ruhe und Gelassenheit eine Pizza Gorgonzola gegessen und einen alten Hit gehört zu haben...

 

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