Elektronik

 

Kommt von der Kälte, sagen rational denkende Mitmenschen, wenn ich Ihnen die Geschichte vom selbständigen Billettautomaten erzähle. An einem kalten Wintertag vor kurzem war es gewesen. Ich stand allein an unserer asm-Haltestelle und fror. Nur widerwillig registrierte meine akustische Wahrnehmung ein elektronisches Pipsen, so, als würde jemand ein Billet lösen. Die optische Wahrnehmung aber widersprach heftig: Es war niemand zu sehen. Irritiert weigerte sich daraufhin meine rationale Abteilung des Denkens, die Offensichtlichkeit zu akzeptieren. Den Automaten beeindruckte der Streit in meinem Denken nicht. Selbstzufrieden pipste er weiter und auf dem Bildschirm erschien liberogerecht ausgedrückt seine Reisesehnsucht: 2 Zonen, 1. Klasse.

 

Empört wies mich meine rationale Hirnhälfte zurecht und ich brachte die Welt wieder in Ordnung: C-Taste für Löschen, Abbruch, Reset. So. Ich wandte mich wieder meiner Warterei zu. Ein Pipsen in meinem Rücken liess mich zusammenzucken: Bitte nicht! Der schöpferische Teil meines Denkens grinste spöttisch, die Rationalität verkroch sich schmollend in die hintersten Windungen und gespannt verfolgte ich, wohin der Kleine jetzt reisen würde.

 

He! Mein rationales Denken schoss empört aus dem Winkel: Das ist ein Automat! Technik! Elektronik! Kein menschliches Wesen, das man „Kleinen“ nennen kann. Bloss die Kälte, die – ich hörte schon gar nicht mehr zu. Der Kleine erinnerte mich an Marvin, den mit menschlichen Gefühlen ausgestatteten Roboter in Douglas Adams Weltraumparodie „Per Anhalter durch die Galaxis“, besonders sympatisch, weil er infolge eines Versehens der Hersteller manisch-depressiv herausgekommen war.

 

Ich liess also den Kleinen seine Reise tun: 4 Zonen diesmal, wieder erste Klasse! Eine Zeitlang schien er träumend den Möglichkeiten seiner Reiserouten nachzufühlen, dann klickte es, der Bildschirm stellte zurück auf das Startbild. Ich wartete gespannt. Die Rationalität grollte irgendwo im Hinterkopf. Da pipste er wieder los! Kaum bemerkte ich dabei, dass mein asm-Zug in die Haltestelle einfuhr, blindlings tastete ich nach dem Türöffner, drückte und stolperte auf das Trittbrett, die Augen auf den Kleinen gerichtet, auf seinen Bildschirm, auf dem er eifrig nach seinem Reisewunsch suchte. Ich konnte aber nicht mehr erkennen, wohin es diesmal ging, mein Zug fuhr ab.

 

Am Abend war die Sache repariert. Stumm und tot stand der Automat dort. Siehst du, sagte mein rationales Denken rechthaberisch, mit dünnen Lippen. Ich ignorierte es. Wie viel heimeliger war mir die Haltestelle vorgekommen, wie viel wärmer war es gewesen an diesem Morgen, als der Automat ein Mensch gewesen war!

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